"Ich habe mich geirrt" - Viele Jahre habe ich angenommen, dass der kausale Zusammenhang des Reiz-Reaktionszyklus ein Schlüssel für unsere willentlichen Verhaltenssteuerung ist. Details dazu sind ausführlich in den Artikeln Reaktionsflipper und Motivationsmacht erläutert. Als ich im Sommerurlaub von James Clear das Buch "Die 1%-Methode" lass [2], wurde mir klar, dass das Reiz-Reaktionsmodell hinreichend zur Beschreibung des Zusammenhangs von Motivation und Verhalten ist, es aber in keinster Weise ausreichend ist um gelenkt gewünschtes Verhalten zu erreichen. Warum?
Unsere Sinneswahrnehmung beeinflußt unser Verhalten viel stärker als unsere Willenskraft. Während unsere Sinne unser Verhalten meist unbewußt steuern, so steuert unsere Überlegungen (Willenskraft) unser Verhalten als bewußte Kraft. Doch diese Kraft ist wie ein Muskel [18] begrenzt und erfordert Energie und Training, weshalb unsere Sinne uns viel öfter lenken, als es unser Wille es tut. Unsere Sinneseindrücke beeinflussen unser Verhalten oft stärker als unsere bewusste Überlegungen [4]:
Eine visuelle Kontextsetzung ist deshalb die beste Form ein Umfeld zu schaffen, welches unser Verhalten positiv beeinflusst, schlicht weil unser Sehvermögen die Stärkste aller sensorischen Fähigkeiten ist. Unser Körper verfügt über etwa elf Millionen Sinnesrezeptoren, von denen ungefähr zehn Millionen dem Sehen gewidmet sind [5]. Und das ist noch nicht alles: Unser Gehirn nutzt die Hälfte seiner Ressourcen für das Sehen [6]! Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr wir vom Sehvermögen abhängig sind. Tatsächlich sind visuelle Reize die stärksten Impulsgeber für unser Verhalten. Eine kleine Änderung an dem, was man sieht, kann daher das, was man tut, entscheidend wandeln.
Deshalb ist es viel effektiver uns zu überlegen in welcher Form wir unser Umfeld gestalten können, um uns selbst in unserer gewünschten Verhaltensweise zu unterstützen. Stellen wir Beispielhaft eine Obstschüssel in die Mitte eines Raumes – dann ist es gleich viel motivierender, als wenn sie im Kühlschrank steht, oder? Es ist wirklich hilfreich, gewünschte Gewohnheiten in unterschiedlich visuellen und räumlichen Kontexten zu trennen. Wenn wir zum Beispiel am Schreibtisch arbeiten, sorgt das für Klarheit, dass das Sofa nur für die private Entspannung gedacht ist.
Was du bist hängt von drei Faktoren ab: Was du geerbt hast, was deine Umgebung aus dir machte und was du in freier Wahl aus deiner Umgebung und deinem Erbe gemacht hast.
Aldous Huxley
So sollten wir neu erforschen mit welchen Faktoren wir wirklich Einfluss nehmen können auf unser Verhalten. Schauen wir uns Schritt für Schritt an, wie wir unser Verhalten ändern können um wiederholtes Verhalten in neue Gewohnheiten zu wandeln. Der Reiz-Reaktions-Zyklus läßt sich in vier Schritte und zwei Phasen einteilen [1]:
Der Auslösereiz weckt ein Verlangen, das zu einer Reaktion motiviert, welche wiederum eine Belohnung zur Folge hat, die das Verlangen befriedigt und letztlich mit dem Auslösereiz in Verbindung gebracht wird. Mein Irrtum war die Annahme, dass entschiedene Actio der Willenskraft zu Reactio im Verhalten führt. Zusammen bilden diese vier Schritte eine neurologische Feedbackschleife – Auslösereiz, Verlangen, Reaktion, Belohnung, Auslösereiz, Verlangen, Reaktion, Belohnung –, mit der wir automatisierte Gewohnheiten schaffen können. Diesen Zyklus bezeichnet Duhigg als Gewohnheitsschleife [7].
Um diese Schritte wirklich beeinflussen zu können, braucht es ein Verständnis davon unter welchen Grundannahmen und Prinzipien sich gute Gewohnheiten entwickeln oder schlechte Gewohnheiten abgelegt werden können. Diese Prinzipien dienen als Stellhebel um das menschliche Verhalten zu beeinflussen. Befinden sich die Hebel in der richtigen Position, lassen sich mühelos gute Gewohnheiten schaffen. In der falschen Position ist das jedoch fast unmöglich. Deshalb ist das Umfeld, welches wir uns oder anderen schaffen für eine Verhaltensänderung viel viel viel wichtiger, als die Willenskraft die uns zur Verfügung steht.
The goal is not to be perfect by the end. The goal is to be better today.
Simon Sinnek
Uns weiterzuentwickeln sollte kein Vergleich oder Wettbewerb sein. Es sollte unser innerstes Motiv sein, dass wir immer mehr zu unserem "identischen Selbst" finden und mehr und mehr herausfinden, welche Talente in uns stecken. So sollten wir uns füreinander freuen, wenn wir dies untereinander herausfinden, nicht kompetetiv zueinander verhalten. Das sollte dann Kreativität und Freude in uns freisetzen, welche uns befähigt in kreativen Lösungen (Innovation) zu denken. Fangen wir an uns zu vergleichen und im Wettbewerb zu sehen, dann beginnen wir uns zu gegenseitig zu rechtfertigen und in Leistungsentwicklung, nicht Identitätsentwicklung zu denken.
When we focus on the competition, we become reactive. When we focus on improving ourselves, we become innovative.
Simon Sinnek
Positive Grundannahmen die eine identitätsbasierte Gewohnheitsänderung fördern, sind:
Du bist nicht alleine: Wir sind soziale Wesen. Wir müssen nicht alleine mit unserer Willenskraft unser Leben in den Griff bekommen. Ich sage es sehr deutlich: "Es ist eine Lüge dass wir alleine unser Leben mit begrenzten Kräften in den Griff bekommen müssen". Wir dürfen uns Menschen suchen, die ein vitales Interesse an uns haben, dass unser Leben gelingt und unserer Fähigkeiten in uns entdeckt werden. Es gibt Menschen die jeden Tag Strukturen schaffen wollen, die Menschen darin unterstützen sich weiterzuentwickeln. Suche solche identitätsentwickelnden Menschen oder sei so ein identitätsentwickelnder Mensch. Dadurch können Menschen herausfinden welche Talente in ihnen noch unentdeckt sind und Teil ihrer Identität sind.
Ergänzungswürdig: Im christlichen Kontext sind alle Menschen Glieder eines Leibes [22]. Wir alle haben individuelle einzigartige Fähigkeiten und sind darauf angelegt diese miteinander zu teilen. Wir sind viel besser zusammen, wenn wir wissen was wir als Einzelne gut können und weniger gut können und uns dann zusammentun um mit unseren Stärken gut zusammenzuarbeiten.
Zusammenarbeit ist zutiefst Menschenentwickelnd.
Lernwille: Niemand Drittes ist dafür verantwortlich, dass wir uns weiterentwickeln. Dafür sind wir selbst verantwortlich. Wenn wir nicht selbst "kritisch geläuterte Erfahrungen" [23] machen, dann werden wir nichts lernen. Diese Erfahrung werden wir nur selbst erleben können. Auch hier werde ich deutlich: "Man kann einem Dritten nicht zumuten uns entwickeln zu müßen, wenn wir es selbst nicht wirklich wollen oder irgendwelchen fehlenden Bedingungen die Schuld geben". Wir müssen zulassen, dass Andere von uns die Authorität bekommen mit uns herauszufinden wo wir uns entwickeln können und auch ein Interesse daran haben diese Entwicklung zuzulassen. Schließlich kann niemand den Lauf unseren Lebens laufen, außer wir selbst. Aber es gibt Menschen die uns in diesem Lauf unterstützen können. Aber sie können uns nicht tragen.
Die vier Prinzipien der Verhaltensänderung [2] bieten einen strukturierten Ansatz, um neue, positive Gewohnheiten zu etablieren und unerwünschte Verhaltensweisen abzulegen. Sie basieren auf der Idee, dass kleine, kontinuierliche Verbesserungen zu signifikanten Ergebnissen führen können. Durch die Anwendung dieser Prinzipien wird der Prozess der Gewohnheitsbildung systematisch gestaltet, wodurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass gewünschte Verhaltensweisen langfristig beibehalten werden. Diese Veränderungsprinzipien sind:
Prinzip zur guten Gewohnheit | Umkehrprinzip zur schlechten Gewohnheit | |
---|---|---|
Auslösereiz | G. muss offensichtlich sein (1P) | G. muss unsichtbar sein (1PU) |
Verlangen | G. muss attraktiv sein (2P) | G. muss unattraktiv sein (2PU) |
Reaktion | G. muss einfach sein (3P) | G. muss schwierig sein (3PU) |
Belohnung | G. muss befriedigend sein (4P) | G. muss unbefriedigend sein (4PU) |
Unser Gehirn ist eine wunderbare Vorhersagemaschine [8], die ständig daran arbeitet, Informationen zu verarbeiten und Hypothesen zu entwickeln. Es ist wie ein schlauer Detektiv, der herausfindet, ob Reize wie Stress oder Angst relevant sind oder nicht. Das Gute an Gewohnheiten ist, dass wir den Auslösereiz nicht bewusst wahrnehmen müssen, um die Gewohnheit auszuüben. Das Schlechte daran ist, dass wir den Auslösereiz nicht bewusst wahrnehmen und die Gewohnheit auszuüben. Je häufiger wir die Gewohnheit wiederholen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir das geübte Verhalten hinterfragen oder bewusst wahrnehmen. Deshalb ist es bedeutsam, dass wir die Gewohnheiten ins Bewußtsein, ins Augenscheinliche, ins Offensichtliche holen.
Bis wir uns das Unbewußte bewusst machen, wird es unser Leben lenken und wir werden es Schicksal nennen.
Carl Jung (vermutlich)
Zeigen und Benennen ("Pointing and Calling") ist eine Methode die Anfang des 1900 Jahrhunderts bei der Lokfahrt eingeführt wurde, um die Sicherheit zu erhöhen. Dabei wir bei jeder Wahrnehmung oder Handlung gezeigt und benannt welches Verhaltes ausgeführt wird, z.B. „das Signal ist grün“ oder „Der Zug fährt 100km/h“. Diese Methode ist deshalb so effektiv, weil sie unsere Aufmerksamkeit erhöht.
Die Methode hilft unser Bewusstseins zu steigern und unsere Gewohnheiten zur Verbesserung der Entscheidungsfindung zu optimiere. Dies zeigt sich in folgenden Merkmalen:
Wir können unsere Gewohnheiten nicht ändern, wenn wir sie nicht bewusst als solche wahrnehmen in dem Moment wo wir sie ausüben. In der Retrospektive ist es zu spät eine schlechte Gewohnheit als solche zu identifizieren. Um sie zu lenken muss sie ins Bewusstsein geholt werden, damit wir und anders entscheiden können. Wir können nichts entscheiden, wenn wir es nicht unterscheiden können.
Wenn wir uns eine Liste mit all unseren Gewohnheiten erstellen, können wir diese bewerten. Eine Bewertung sollte erfolgen in gute, schlechte oder neutrale Gewohnheiten. Eine Kennzeichnung der Gewohnheiten kann mit gut (+), neutral (=) und schlecht (-) erfolgen [12]. Zur Orientierung der "guten" oder "schlechten" Bewertung helfen folgende Fragen:
Gewohnheiten, die deine angestrebte Identität verstärken, sind in der Regel gut. Gewohnheiten, die der angestrebten Identität widersprechen, sind in der Regel schlecht.
Wenn wir unsere Gewohnheiten verändern wollen, dann fokussieren wir uns in der Regel auf das, was wir wie erreichen wollen. So entstehen ergebnisorientierte Gewohnheiten. Eine andere Möglichkeit sind identitätsorientierte Gewohnheiten. Dabei konzentrieren wir uns darauf, wer wir werden möchten. Ein Verhalten, das nicht mit dem eigenen Selbst vereinbar ist, ist nicht von Dauer. Gewohnheiten lassen sich leider nur schwer ändern, wenn die grundlegenden Überzeugungen, die für das bisherige Verhalten verantwortlich sind, gleich bleiben. Mit reiner Ergebnisorientierung streben wir zwar neue Ziele und Pläne an, haben aber noch nicht verändert, wer wir sind. Die ultimative Form unserer intrinsischen Motivation erreichen wir, wenn unsere Gewohnheit Teil unserer Identität wird. Es ist ein großer Unterschied, ob wir sagen: "Das möchte ich gerne", oder: "So bin ich". Neue Gewohnheiten prägen unsere Identität und umgekehrt.
Im Ideal wird unsere Identität durch unser Verhalten geprägt und ausgedrückt. Darin spiegelt sich unser inneres Wollen und Können. Im Lateinischen leitet sich Identität etymologisch von "essentitas" für Sein und "identidem" für Wiederholung ab. Das bedeutet, unsere Identität ist ein Ergebnis aus "wiederholtem Sein" ("Ich bin, ich bin, ich bin").
Es ist wichtig, in kleinen Schritten vorzugehen:
Entscheide, WER du sein möchtest
Beweise diese Identität mit kleinen Siegen
Jeden Tag gibt es Gründe, die uns daran hindern, unsere Gewohnheiten zu verändern. Die Gründe dafür können unendlich sein, aber wir dürfen uns davon nicht entmutigen lassen. Wir sollten uns nicht zu sehr an eine bestimmte Version unserer Identität klammern, denn Fortschritt bedeutet Veränderung. Jede neue Gewohnheit, die wir annehmen, führt nicht nur zu neuen Ergebnissen, sondern schenkt uns auch wertvolle Erfahrungen und Vertrauen in unsere Fähigkeiten. Dabei ist es wichtig, dass wir unsere Werte und Prinzipien im Blick behalten, um unsere Identität zu bereichern und uns weiterzuentwickeln.
Der häufigste Auslöser für Gewohnheiten ist Zeit und Raum. Deshalb kann es sehr hilfreich sein, einen Plan zu erstellen, in dem du festlegst, wann und wo du eine Gewohnheit ausführen möchtest. Wenn du deine Wahrnehmung stärken möchtest, kannst du dir für die als schlecht identifizierten Gewohnheiten einen Aussagesatz zurechtlegen, z. B. "Ich will diesen Keks essen. Ich brauche ihn nicht. Wenn ich ihn esse, werde ich zunehmen und es schaden meiner Gesundheit". Egal, ob du eine gute oder schlechte Gewohnheit hast. Wenn du etwas verändern möchtest, ist es eine gute Idee, laut auszusprechen, was du tun möchtest. So kannst du deine Wahrnehmung verändern und die Reize erkennen, die eine Gewohnheit auslösen.
In der Lebensmittelindustrie, den sozialen Medien und anderen Wirtschaftszweigen wird viel dafür getan, dass Menschen im Sinne von Interessensträgern beeinflusst werden. Nicht um zwingend den Menschen etwas Gutes zu tun, sondern um die Interessen des Einflussnehmers zu maximieren. Das führt dazu, dass die Versionen der Realität, die uns vorgegaukelt werden, viel attraktiver erscheinen als die Welt, in der wir uns befinden. So werden Chips oder Pommes gustatorisch verbessert. Und auch Make-up-Filter in Social-Media-Videos oder Schaufensterpuppen, die uns in einem anderen Licht erscheinen, als die Menschen, die uns sonst so begegnen, sind Beispiele dafür. Es sind die kleinen Dinge, die unsere Wahrnehmung beeinflussen und uns dazu verleiten, Dinge als attraktiver zu betrachten, die es gar nicht sind. So wird unsere Wahrnehmung immer mehr mit einer Pseudo-Attraktivität verzerrt, die eher zu, wie abnimmt. Das führt dazu, dass unsere Selbstwirksamkeit abnimmt, weil die Pseudo-Reize attraktiver sind als unser Leben [2].
Unser Verlangen, unsere Gewohnheiten – sie werden von einem Neurotransmitter gesteuert, dem Dopamin [13]. All unsere Gewohnheiten sind dopamingesteuerte Feedbackschleifen. Und wenn unser Körper wenig oder kein Dopamin ausschütten, verlieren wir das Interesse. Wenn unser Körper viel Dopamin ausschüttet, sind wir voller Tatendrang und unsere Erwartungen steigen. Das ist zum Beispiel der Fall bei Drogen oder Spielsucht. So verzerren überhöhte Dopaminausschüttungen durch gegebene Pseudo-Attraktivitäten unser Bewußtsein, weil das Verhalten in gefakte Wirklichkeiten sich besser anfühlt wie die Realität. Aber wenn wir das nicht mehr unterscheiden lernen, dann ist die Wirklichkeitsflucht attraktiver wie die Wirklichkeit selbst.
Aus diesem Grund ist es Bedeutsam uns selbst die realen und gewünschten Attraktivitäten zu erhöhen um negative oder Pseudo-Attraktivitäten überwinden zu können. Dabei hilft, dass die Erwartung einer Belohnung uns dazu veranlasst, etwas zu tun, und nicht die Belohnung selbst. Wenn wir eine attraktive Gewohnheit etablieren möchten, können wir das Premack-Prinzip [14] anwenden. Das besagt: Die Gelegenheit zu einem Verhalten, das uns wichtig ist, kann ein weniger wichtiges Verhalten verstärken. Daraus folgt die Kombination von Bedürfnissen, die zu Gewohnheiten werden (Gewohnheitskopplung):
So koppeln wir eine weniger gewünschte (unattraktive) Gewohnheit an eine gewünschte (attraktive) Gewohnheit. Wir koppeln eine Aktivität, die wir durchführen möchten, mit einer Aktivität, die wir ausführen müssen. Das ist so als würden wir eine gewünschte Gewohnheit in eine erforderliche verpacken (Huckepack), egal ob vorher oder nachher ausgeübt.
Wir Menschen sind Herdentiere. Deshalb sehnen wir uns alle danach, dazuzugehören. Das hat auch einen starken Einfluss auf unser heutiges Verhalten [16]. Wir ahmen sehr häufig Gewohnheiten von drei Gruppen nach:
Wenn Verhalten Anerkennung, Respekt und Lob verspricht, finden wir es attraktiv und wir sind motiviert, Verhaltensweisen zu vermeiden, die unseren Status senken würden.
Am ersten Tag des Semesters an der Universität von Florida teilte Professor Jerry Uelsmann [17] seine Studierenden in zwei Gruppen ein. Jede Gruppe saß auf einer Seite des Klassenzimmers. Er erklärte der linken Gruppe "Menge", dass sie ausschließlich nach dem Umfang ihrer Arbeit benotet würden. Am letzten Tag des Semesters würde er die Anzahl der von ihnen eingereichten Fotos ermitteln. Einhundert Fotos würden mit der Bestnote bewertet, neunzig mit der zweitbesten und so weiter. Alle auf der rechten Seite des Raumes waren dagegen in der Gruppe "Qualität". Sie sollten nur nach der Qualität ihrer Arbeit beurteilt werden. Sie mussten im ganzen Semester nur ein einziges Bild hervorbringen, doch für die Bestnote musste es nahezu perfekt sein.
Am Ende des Semesters war der Professor erstaunt, dass in der Gruppe "Menge" die besten Fotos entstanden waren. Die Studierenden hatten das ganze Semester über Fotos gemacht, mit Komposition und Beleuchtung experimentiert, verschiedene Methoden in der Dunkelkammer ausprobiert und aus ihren Fehlern gelernt. Indem sie Hunderte von Fotos erstellten, wurden sie immer besser. Wer mehr experimentiert, lernt mehr. Die Gruppe Qualität dagegen hatte nur herumgesessen und spekuliert, was Perfektion bedeutete. Am Ende konnten diese Studierenden außer vagen Theorien und einem mittelmäßigen Foto wenig vorweisen. Oft sind wir so sehr damit beschäftigt, den besten Ansatz zu finden, dass wir gar nicht dazu kommen, überhaupt aktiv zu werden. Voltaire schrieb dazu treffend: "Das Beste ist der Feind des Guten."
Dieses Experiment beschreibt treffend den Unterschied zwischen Beschäftigung und Handeln. Beide Begriffe scheinen das Gleiche zu meinen, doch das täuscht. Beschäftigung bedeutet, dass wir planen, Strategien entwerfen und lernen. Das ist zwar sehr wertvoll, führt aber nicht zu einem Ergebnis. Handeln ist anders. Handeln führt zu einem Ergebnis. Wenn wir etwas tun, fühlen wir uns, als würden wir Fortschritte machen, ohne das Risiko eines Scheiterns einzugehen. Wir sind meist sehr gut darin, Kritik zu vermeiden. Scheitern oder öffentliche Verurteilungen sind sehr unangenehm, deshalb gehen wir Situationen, in denen dies droht, lieber aus dem Weg. Und genau das ist der Hauptgrund, warum wir uns einer Beschäftigung widmen, anstatt zu handeln: Wir wollen das Scheitern hinauszögern. Wenn wir eine Gewohnheit meistern wollen, ist nur die Wiederholung der Schlüssel zum Erfolg, nicht die Perfektion. Wann wir eine Gewohnheit final eingeübt haben, ist nicht so wichtig. Was zählt, ist die Anzahl der Wiederholungen.
Gewohnheiten entwickeln sich auf ganz natürliche Weise. Anfangs müssen wir etwas bewusst tun, um eine Gewohnheit zu etablieren. Nach einer Weile passiert es ganz von selbst. Wenn wir unser Verhalten automatisch ausüben, nennt man das Automatizität. Es ist die Fähigkeit, eine Handlung auszuführen, ohne darüber nachzudenken. Dann ist das Nichtbewusstsein am Werk [2].
Am Anfang (Punkt A) erfordert uns die Ausführung einer Gewohnheit viel Anstrengung und Konzentration. Nach einigen Wiederholungen (Punkt B) wird es einfacher, braucht jedoch immer noch ein gewisses Maß an bewusster Aufmerksamkeit. Nach entsprechender Übung (Punkt C) läuft die Gewohnheit eher automatisch als bewusst ab. Jenseits dieser Schwelle – der Gewohnheitsgrenze – lässt sich das Verhalten mehr oder weniger ohne Nachdenken ausführen. Eine neue Gewohnheit ist entstanden, die uns sehr ans Herz gewachsen ist [2].
Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Motivation der Schlüssel zur Veränderung von Gewohnheiten ist. Das unser wirkliches Wollen, dann auch zu unserem Tun führt. Aber immer wieder scheiterte diese Hypothese an meinem Handeln und irgendetwas stimmte damit nicht. In Wirklichkeit sind wir jedoch darauf gepolt das Einfache zu tun, für das wir genügend Energie zur Verfügung haben. Egal was wir Wollen, viel Wesentlicher ist, wieviel Energie wir dafür benötigen. Je mehr Energie wir dafür aufwenden müssen, desto unwahrscheinlicher ist, das wir es tun. Je höher die Hürde oder der Energiebedarf, also je schwieriger die Gewohnheit, desto größer der Unterschied zwischen unserem aktuellen und unserem angestrebten Zustand. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Gewohnheiten so einfach sind, dass wir sie auch dann ausführen, wenn wir gerade keine Lust haben. Wenn wir unsere guten Gewohnheiten bequemer gestalten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir diese auch umsetzen. Dann wird die neue Gewohnheit zu einer Tür zu unserem Sein und dem was wir wirklich wollen.
Ich treffe mich regelmäßig mit einem Freund um mit ihm über "Gott und die Welt" zu sprechen. Beim letzten Treffen philosophierten wir darüber welchen Beitrag wir leisten könnten, um Menschen im Alltag in echter Veränderung zu begleiten. Es scheint eine einfache Fragestellung zu sein, aber dennoch gibt es so viele Möglichkeiten. Wir sprachen über die vielen "Kleinen Dinge" im Leben, die Menschen nachhaltig verändern, wenn sie erfahren, dass sie eine Fähigkeit haben, die bisher unentdeckt waren. So erlebte ich das einfache Menschen einen riesigen nachhaltigen Zugewinn in ihrer Identität machten, indem sie in kleinen Dingen lernten etwas zu tun, was sie vorher nicht konnten, z.B. einen Konflikt zwischen zwei Anderen schlichten, an einem Mikrofon sprechen, eine Vortrag inhaltlich vorbereiten und selber halten. In kleinen Dingen etwas mit eigener Selbstwirksamkeit gelernt zu haben erzeugt eine gewaltigen Schub im Selbst-Bewußt-Sein.
So sind es nicht die großen Dinge, die großen Stellhebel, die großen Ziele, die Wichtig sind. Es sind die kleinen Dinge die den Unterschied machen. Die kleinen Tätigkeiten sind die Wichtigen. die alltäglichen Dinge sind die Wertvollen.
Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu. (Lukas 16, 10)
Dieses Prinzip betont, dass Zuverlässigkeit und Integrität in alltäglichen, scheinbar unbedeutenden Aufgaben entscheidend sind. Sie bilden die Grundlage für Verantwortlichkeiten in größeren Angelegenheiten. Ich nenne sie einfach "Perlenmomente", klein und kostbar. Die schnelle und laute Welt um uns herum mit den Social-Medien erklärt uns jeden Tag, was unsere Aufmerksamkeit haben sollte. Aber das was oft überbetont wird, wird nicht wahr über die Anzahl der Erklärungen [18]. Wahr ist, das die kleinen Dinge wichtig sind, nicht die lauten Dinge. Deshalb ist es wichtig, dass wir die entscheidenden Perlenmomente des Tages im Griff haben. Jeder Tag besteht aus vielen Momenten, doch die grundsätzliche Richtung, die Sie einschlagen, wird durch einige wenige gewohnheitsmäßige Entscheidungen bestimmt. Diese kleinen Wahlmöglichkeiten summieren sich und legen fest, welchen Verlauf der nächste Zeitabschnitt nehmen wird. Gewohnheiten sind der Anfangspunkt, nicht das Ende. David Allen [20] empfiehlt mit seiner
2-Minuten-Regeln Dinge sofort zu erledigen:
Wenn etwas weniger als 2 Minuten dauert, mache es jetzt.
David Allen
Widmet man sein Regel zur Gewohnheitsänderung um, dann sollte uns klar sein, dass wir klein anfangen sollten. Stecken wir uns zu leicht zu hohe Ziele, dann setzen wir uns zu große Hürden. Wenn wir von einer Veränderung träumen, nehmen wir uns im Eifer des Gefechts zwangsläufig zu viel auf einmal vor. Dagegen hilft die Zwei-Minuten-Regel, die besagt:
Wenn man eine neue Gewohnheit anfängt, sollte sie nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch nehmen.
Man kann fast jede Gewohnheit auf eine Zwei-Minuten-Version reduzieren:
Dabei geht es darum, Gewohnheiten so einfach wie möglich zu gestalten. Jeder kann eine Minute lang meditieren, eine Seite lesen oder ein Kleidungsstück wegräumen. Und diese Strategie ist, sehr wirkungsvoll, denn wenn man einmal damit angefangen hat, das Richtige zu tun, lässt es sich viel leichter fortsetzen. Eine neue Gewohnheit sollte nicht wie eine Hürde wirken. Die anschließenden Handlungen können schwieriger werden, aber die ersten zwei Minuten sollten einfach sein. Es braucht eine "Einstiegsgewohnheit", die uns wie von selbst in eine förderliche Richtung lenkt. Einstiegsgewohnheiten, die zu einem angestrebten Ergebnis führen, können wir in der Regel ermitteln, indem unser Ziele auf einer Skala von »sehr einfach« bis »sehr schwer« einordnen. So ist es zum Beispiel sehr schwer, einen Marathon zu laufen. Ein Fünf-Kilometer-Lauf ist schwierig. Zehntausend Schritte zu tun ist mittelschwer. Ein zehnminütiger Spaziergang ist einfach. Und die Laufschuhe anzuziehen ist sehr einfach. Wenn unser Ziel also darin besteht, einen Marathon zu laufen, könnten wir es uns zur Gewohnheit machen, die Laufschuhe anzuziehen.
Unser Gehirn ist so eingestellt, dass es immer das wiederholen möchte, was belohnt wurde, und das vermeiden, was bestraft wurde. Wir wollen in der Regel auch immer alles sofort haben. Bei vielen guten Gewohnheiten tritt die Belohnung aber erst zeitverzögert ein (Belohnungsaufsschub), beispielsweise wird man durch einmal Joggen nicht zum Spitzensportler.
Die ersten Prinzipien haben dafür gesorgt, dass wir überhaupt etwas tun, das vierte Prinzip sorgt dafür, dass wir eine Handlung auch in der Zukunft wiederholen. Deshalb ist es eine gute Idee, Gewohnheiten zu belohnen, auch wenn es nur mit etwas Kleinem ist.
Gerade bei schlechten Gewohnheiten, die man sich abtrainieren will, gibt es ein Problem: Da macht man eigentlich nichts. Also gibt es auch keine Belohnung. Aber es gibt einen einfachen Trick: Tragen wir unsere Gewohnheit einfach nach, indem wir beispielsweise ein X im Kalender eintragen oder eine passende App installieren. Und wenn wir eine Gewohnheit einmal aussetzen möchten, ist das auch gar nicht so schlimm. Wir solltest danach nur direkt wieder starten und eine Gewohnheit nicht zweimal hintereinander aussetzen. Ansonsten kann es etwas schwierig werden, wieder in den Rhythmus zu finden. Durch Gewohnheitstracking entsteht eine Reihe von visuellen Auslösereizen, die helfen die nächste Tätigkeit anzuregen. Desweiteren hilft es ehrlich zu sein, damit wir nicht ein falsches Bild unseres Verhaltes entwickeln. Wesentlich ist nach Ausrutschern nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern weitermachen, auch wenn es nicht perfekt ist. Wichtiger ist die kontinuierliche Wiederholung, nicht die perfekte Ausführung. Wichtig bei der Verhaltenskontrolle ist, das zwischen Maß und Ziel unterschieden wird und das Maß nie zum Ziel wird.
Wenn ein Maß zum Ziel wird, ist es kein gutes Maß mehr (Goodhart's Prinzip) [21]
Messungen sind nur dann sinnvoll, wenn sie der Orientierung dienen und den Kontext zu einem größeren Bild vermitteln.
Eine persönliche Veränderungskultur zu entwickeln ist einerseits ein sehr leichtes und andererseits ein sehr komplexes Unterfangen. Deshalb fasse ich die wichtigsten Faktoren nochmals zusammen:
Du bist eine Perle des Planeten. Schätze die Perlenmomente, die dir das Leben bietet.
Herzlichst,
Matthias
Folgender Text kann als Prompt für z.B. ChatGPT genutzt werden um eine Verhaltensscorecard in allen Prinzipiendimensionen zu erstellen. Kopiere sie und führe sie in ChatGPT aus, um zu sehen wie ein Beispiel aussehen kann:
Ergänze folgende Tabelle in Markdown mit folgenden Inhalten.
Spaltenstruktur:
Reiz
Verlangen
Reaktion/Verhalten
Belohnung
Bewertung
Zeigen und Benennen
Identität
Kopplung
Kontext
Kontinuität
Perlenmoment (2 Min)
Verhinderer
Indikator
Rechenschaftspartner
Detailanforderungen je Spalte:
Verhalten: Eine klare Handlung oder Verhalten oder Aktivität, die jemand ausführen kann (z. B. Joggen, Lesen, Meditieren). Dieser Inhalt ist vorgegeben und dient als Eingabe für die anderen auszuformulierenden Felder
Belohnung: Welche emotionale oder materielle Belohnung entsteht durch die Reaktion (z. B. Freude, Stolz, Klarheit)?
Zeigen und Benennen: Wie könnte dieses Verhalten sich beobachten lassen (z. B. Kameraperspektive, Schlüsselbilder)?
Identität: Ein Satz, der beschreibt, wie dieses Verhalten die Identität einer Person unterstützt (z. B. „Ich bin ein kreativer Denker“).
Perlenmoment (2 Min): Ein einfacher Einstieg oder eine Kurzversion des Verhaltens, die innerhalb von zwei Minuten durchgeführt werden kann.
Verhinderer: Mögliche Hindernisse (z. B. fehlende Motivation, äußere Ablenkungen, Zeitmangel).
Hinweise für das Ausfüllen:
Fülle jede Zeile mit einem spezifischen Verhalten aus.
Sei kreativ und konkret bei der Beschreibung der Belohnung und der Identität.
Denk daran, praktische und umsetzbare Ideen für die 2-Minuten-Umsetzung zu liefern.
Liste realistische Blocker und wie man sie umgehen könnte.
Erstelle für folgende Reaktionen die oberen Inhalte:
Zähneputzen
Gesundes Frühstück
Regelmäßig Sport
Verhältnismäßiger Medienkonsum
Arbeitszeit
Mittagessen
Hobby/Persönliche Projekte
Lesen
Meditation/Entspannung
Abendessen
Zeit mit Familie/Freunden
Reflexion des Tages
Planung für den nächsten Tag
Früh genug Schlafen gehen
Moderater Konsum von Genussmitteln
Quellen