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Matthias Wegner • 3. Januar 2024
004 - Kulturbiosphäre (1-3)

Die Kultur einer Organisation wird oft unterschätzt, weil sie häufig als unwichtig angesehen wird. Man denkt vielleicht, dass sie nur ein kleiner Teil der Organisation ist, wie eine Kirsche auf einer Torte. Doch das ist ein großer Fehler! Die Kultur hat einen enormen Einfluss auf die Stabilität und Zukunft der Organisation. Sie beeinflusst das Verhalten der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit der Organisation. Die Kultur ist also entscheidend dafür, dass sowohl die Bedürfnisse der Menschen in der Organisation als auch die Ziele der Organisation erfüllt werden können.


Dieser Text bildet den Auftakt einer dreiteiligen Serie. Die Artikel sind nicht ganz einfach zu verstehen und enthalten eine gewisse Abstraktion. Ich teile die Ansicht von Einstein, der sagte: "Man sollte alles so simpel wie möglich machen, aber nicht einfacher". Mein Ziel ist es daher, Analogien zu finden, um die Zusammenhänge verständlicher darzustellen. Allerdings wird erst beim eigenen Ausprobieren und Erleben wirklich klar, worum es geht. Deshalb kann ich dir vorerst nur virtuelle Proteinriegel beilegen und dich bitten: "Bleib dran! Versuche grobe Schritte für dich abzuleiten. Es wird deutlicher werden, wenn du es selbst versuchst.

1. Welche Bedeutung hat Kultur?

Die Kultur einer Organisation beinhaltet vielen Facetten, die benötigt werden um diese Kultur zu ermöglichen. Wie ein Gewächshaus braucht es bestimmte Strukturen und eine bestimmte Atmosphäre, damit eine Kultur (lat. agri-cultura [5]) das gesunde Wachstum und den Erhalt der Pflanzen ermöglicht wird.

  • Analogieangebot

    • Um die abstrakten Inhalte in einer Analogie zu erläutern, soll uns ein Gewächshaus mit seinen Pflanzen dienen.

    • Das Gewächshaus steht in der Analogie zur Organisation. 
    • Die feuchte erdig warme Luft ist ein Bild für die Kultur einer Organisation
    • Eine geplante Blaupause vom Ausbau des Gewächshauses symbolisiert die Vision
    • Der Leitspruch der Gärtnerei hängt über der Eingangstür und wird von jedem Gärtner täglich gelesen. Dies soll die Analogie zur Mission sein
    • Die Gärtner sind Menschen mit Führungsverantwortung in der Organisation
    • Der erste Bauabschnitt der Gewächshauserweiterung liegt in fertigen vor. Dies symbolisiert die Strategie der Organisation
    • In den nächsten drei Monaten soll das Grundstück begrandigt werden für die Erweiterung. Die Dinge die dafür zu tun sind sollen die Taktik mit ihren Zielen darstellen
    • Aktuell stehen ein paar kleine Projekte an um eine neue Pflanzensorte einzusäen und weitere Details mit den Architekten zu besprechen. Dies sind entsprechend Initiativen
    • Die Blumen im Gewächshaus sind Sinnbild für die Menschen in der Organisation
    • Ein gut gedüngter Boden und genügend Wasser soll die Strukturen darstellen, der die Menschen entwickelt und in ihrer Wirkung befähigt 
    • Rankgitter als Wachstumsunterstützung stehen für Strukturen innerhalb der Organisation. Dazu würde ich auch die Prinzipien zählen, da sie Handlungsleitend wirken
    • Alle glauben an die Kraft der Sonne, die Gärtner und die Pflanzen. Das symbolisiert die Grundannahmen
    • Ein besonders guter Dünger soll als Analogie zu den Werten dienen, im Gedanken an ideeles Wachtum und Verhalten
    • Werkzeugkoffer und Gartengeräte-Sets sollen Frameworks symbolisieren
    • Ein kleiner lustiger Sonnenblumenaufkleber an der Eingangstür aus Glas soll die Artefakte symbolisieren
    • Einzelne Pflanzanleitungen und Pflegeanleitungen sind in Analogie die Methoden

(The role of CEO is) be the architect of the greenhouse [6].

Tony Hsieh 

Das was Pflanzen für ihr Wachstum und ihren Erhalt brauchen, gleicht den Bedürfnissen von Menschen und Organisation. Diese Bedürfnisse sind nicht leicht zu erkennen und oft unbewusst. Dennoch sind sie (indirekt) beobachtbar durch das Verhalten von Menschen in einer Organisation. Organisationen haben sich durch ein gemeinsam kollektive Bedürfnisse von Menschen gegründet, um durch kollektives Verhalten die Zwecke zu erfüllen. Jedoch kann eine Organisation sich nicht Verhalten, nur Menschen in der Organisation - die die Organisation repräsentieren - können dies tun. Jeder Einzelne in der Organisation trägt mit seinem Verhalten etwas zum großen Ganzen bei. So kann man die gemeinsame Orientierung der Organisation an der Orientierung der Menschen innerhalb der Organisation erkennen. Ist das kollektive Verhalten groß, dann liegt in der Organisation eine starke Kultur vor. Ist das kollektive Verhalten eher gering, dann ist eine gemeinsame Kultur schwach ausgeprägt. So ist eine starke Kultur eine große Schnittmenge von gemeinsam gelebten sozialen und zielgerichtetem Verhalten innerhalb einer Organisation.

Um dieses kollektive Verhalten zu fördern gilt es die Menschen in der Organisation und ihre Talente mit einzubeziehen. Starke widerstandsfähige Organisationen haben eine starke Kultur, die größer ist als der Einzelne. Die Kultur verbindet Menschen und gibt ihnen Kraft und Orientierung. Ist dies der Fall, dann gibt es keine organisatorischen oder strategischen Ziele der Organisation, die Mitarbeiter "ausführen". Dann gibt es gemeinsame Ziele, die gemeinsam angegangen werden. Kann sich der Einzelne mit den Zielen und Werten der Organisation identifizieren, dann entsteht eine gigantische Veränderungsfähigkeit.

2. Welche Bedürfnisse hat Kultur zu erfüllen?

Durch dieses beobachtbare Verhalten lassen sich folgende kollektiven Erwartungen und Bedürfnissen zusammenfassen:


  • Organisation: Die Erwartung der Organisation ist Erhalt und Wachstum durch gesetzte Zielen. Ziele geben den Menschen Orientierung und bilden gleichzeitig - je nach Abstraktion des Ziels - auch einen klaren Handlungsauftrag. Diese Ziele sind eher unserem Verstand zugänglich (durch Rationalität) und objektivieren die Zwecke der Organisation für Wachstum und Erhalt. Um sie in einer komplexitätsreduzierten Form zu verstehen, kann man sie als Zielstruktur in hierarchischer Form abbilden.
  • Menschen in der Organisation (=Mitarbeiter): Die Erwartung der Menschen ist die Erfüllung von Zugehörigkeit, Einmaligkeit (=Individualität) [3] , Gestaltungsmöglichkeit (Autonomy), Freude am Können (Mastery) und Sinnstiftung (Purpose) [4]. Die dafür nötigen Rahmenbedingungen zur Erfüllung der Sinn-Fragen für die Menschen können als rahmengebende Strukturen abgebildet werden. Diese Rahmen sind sogenannte normative Ziele (=Normative). Rahmen geben den Menschen innerhalb einer Organisation ebenfalls Orientierung, weil sie eine kollektive Antwort auf die Seinsziele der Menschen beantworten [2]. 


So bilden Organisation im Ideal ein gigantisches Gewächshaus, dass wie eine Biosphäre Strukturen schafft für eine zutiefst gesättigte Atmosphäre des zwischenmenschlichen Kommunizierens und Wirkens. Diese Kultur befähigt die Menschen dazu, dauerhafte und produktiv zielgerichtete Zusammenarbeit ("Aligned Autonomy") zu leisten und gleichzeitig jegliche Art von Komplexität zu verarbeiten [1]. 

In folgendem Bild werden grob die verschiedenen Zielhierarchien (gelb) und Rahmenhierarchien (grün) dargestellt. Die entsprechende Hierarchiestufe ist nummeriert. Die entsprechenden Stufen von Zielen und Rahmen sind in den folgenden Artikel definiert, weshalb an dieser Stelle auf eine ausführlichere Beschreibung verzichtet wird.

Stufe Ziele Rahmen
1 Vision Grundannahmen
2 Mission Werte
3 Strategie Prinzipien
4 Taktik Frameworks
5 Initiativen Methoden

Für weitere

  • Details zur Zielhierarchie findest du im Artikel Zielkultur.
  • Details zur Rahmenhierarchie findest du im Artikel Rahmenkultur.

3. Wie gelingt ganzheitliche Kulturgestaltung?

A strategy that is at odds with a company’s culture is doomed. Culture trumps strategy every time [7].

J. Katzenbach

Den Aufbau einer Organisationskultur zu bewerkstelligen ist keine einfache Angelegenheit. Entweder entscheidest du dich bedingungslos dafür, eine Kultur zu formen oder sie entwickelt sich von alleine in irgendeine Richtung. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir die Kultur kontrollieren können - vielmehr geht es darum, die richtigen Bedingungen zu schaffen, damit Menschen ihr volles Potenzial entfalten können. Eine Kultur gestalten heißt also, eine Umgebung bereitzustellen, welche Strukturen und Atmosphäre bietet und den Menschen ermöglicht, sich in eine gewünschte Richtung zu entwickeln.


Die Entwicklung von Kultur ist keine einmalige Angelegenheit. Um eine Kultur zu etablieren, muss man kontinuierlich durch die Organisation wandern (wie in einem Gewächshaus), um Probleme bei der Zusammenarbeit zu erkennen und die aktuelle Kultur zu verstehen. Dadurch können wertvolle Aspekte bewahrt und Verbesserungspotenziale realisiert werden. Da es sich immer um ein gemeinsames Erleben und kollektives Verhalten handelt, kann man Pflege und Förderung der Kultur nur im täglichen Handeln erleben. Die Pflege einer Kultur erfordert Zeit, Fleiß und Disziplin.

Als Meta-Prozess jedes Element jeder Stufe zu initialisieren und zu pflegen sei folgender Zyklus angeboten:


  1. Zyklus: Schaffe für jedes Kulturelement (welches nur zyklisch zu erarbeiten und zu pflegen ist) einen kontinuierlichen Beteiligungsprozess. Überlege dabei einen angemessenen Zeithorizont und einen zyklischen Aktualisierungszeitraum, z.B. einen 5-Jahreshorizont für die Erarbeitung einer Vision und einen jährlichen Zyklus für die Aktualisierung und Pflege der Vision
  2. Evaluation: Evaluiere im Zyklus aktuelle Probleme und Diskrepanzen und erlaube dir dabei soviel Perspektiven wie nötig um ein gutes Bild von den aktuellen Bedürfnissen innerhalb und außerhalb der Organisation zu erfassen
  3. Kreation: Schaffe initial ein ideal zukünftigen Zustand für das Kulturelement (siehe obere Tabelle) und adaptiere diesen dann entsprechend des Zyklus. Entscheide bewußt wer wie wann an der Erstellung der Zustandes beteiligt ist.
  4. Kommunikation: Informiere alle relevanten Mitarbeiter über die zukünftigen Inhalte (Problemlösung oder Neuzustände) der wesentlichen Elemente der Organisationen. Als Empfehlung sind die obersten drei Ebenen (Vision, Mission, Strategie, Grundannahmen, Werte und Prinzipien) unerläßlich, während mindestens die vierte Ebene (Taktik und Rahmenwerke) je nach Gegenstand in der Kommunikation zu entscheiden sind. Zum Beispiel sollte eine unternehmerisch quartalweise taktische Planung den Mitarbeitern bekannt sein, damit diese im Sinne der Organisation handeln können.
  5. Lernen: Versuche über Metriken, Indikatoren oder Gespräche zu objektivieren, welche Aspekte Wirkung entfalten und welche eher nicht angenommen werden. Lerne daraus und sammle Daten, bis die nächste Evaluierung ansteht.

Fazit

Die absurdeste Annahme, die wir machen könnten, ist zu denken, dass eine herausragende Organisationskultur von alleine entsteht. Als Verantwortungsträger in Organisationen sollten wir viel Zeit und Mühe investieren, um eine positive und gesunde Kultur zu schaffen und aufrechtzuerhalten.


Behalte im Hinterkopf, dass deine Taten - nicht deine Worte - den Schlüssel zur Entwicklung der Kultur darstellen. Menschen schauen zu anderen Menschen auf und erwarten daher innerhalb einer Organisation Orientierung von denen, die im Namen der Organisation sprechen. Das betrifft hauptsächlich Führungskräfte, letztendlich aber alle Beteiligten. Wenn wir eine kooperative Kultur etablieren möchten, müssen wir als Führungskraft den "Geist der Kultur" verkörpern und eng mit unseren direkten Mitarbeitern zusammenarbeiten.


Fördere einen gegenseitigen Austausch von Informationen, um die gewünschte Kultur zu verbreiten und binde dabei die Mitarbeiter in der Organisation ein. Eine starke Kultur wird enorme Produktivität fördern und einen wunderbaren Ort schaffen, an dem sich Menschen gerne engagieren. Die Organisation als Ganzes wird wachsen und gleichzeitig jedem Individuum ermöglicht sich weiterzuentwickeln – immer im Sinne einer gemeinsamen getragenen Ausrichtung.


Herzlichst,

Matthias

Quellen


  • [1] R. Seliger, Das Dschungelbuch der Führung, 2021, ISBN: 9783849702618
  • [2] G. Probst, Wissen managen, 2013, ISBN: 978-3834945624
  • [3] T. Schnell, Psychologie des Lebenssinns, ISBN: 978-3-662-61119-7
  • [4] H. Pink, Drive: Was Sie wirklich motiviert, ISBN: 978-3902404954
  • [5] K. Stadler, Die Kultur des Veränderns, Führen in Zeiten des Umbruchs, 2009, ISBN: 978-3423247641
  • [6] [Tony Hsieh’s Mathematical Approach to Building an Incredible Network, https://www.jakedaghe.com/writing/tony-hsieh-building-a-great-network
  • [7] J.R. Katzenbach, Cultural Change That Sticks, Harvard Business Review, 2012, https://hbr.org/2012/07/cultural-change-that-sticks
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