Um uns in unbekannten Gebieten zu orientieren, ist es wichtig, die richtige Ausrüstung dabei zu haben. Ein Kompass und eine Karte können uns helfen, unseren Weg zu finden und unsere Route festzulegen. Aber woher bekommen wir diese Karte? Wer hat sie erstellt und ist sie noch aktuell? In diesem Artikel geht es nicht nur um die Kartographie einer bestimmten Region. Es geht vielmehr um das abstraktere Konzept der allgemeinen Modellbildung. Durch das Erstellen von Modellen können verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden, um komplexe Zusammenhänge besser verstehen zu können. Diese Modelle ermöglichen es uns auch Entscheidungen auf Basis dieser Informationen zu treffen und somit unsere Ziele effektiver erreichen zu können. Die Nutzung von Modellen hilft uns dabei komplexe Zusammenhänge verständlicher darzustellen und letztendlich eine bessere Weltbegreifen herbeizuführen.
Wissen ist kein Bild oder keine Repräsentation der Realität, es ist vielmehr eine Landkarte dessen, was die Realität uns zu tun erlaubt. Es ist das Repertoire an Begriffen, begrifflichen Beziehungen und Handlungen oder Operationen, die sich in der Verfolgung unserer Ziele als viabel erwiesen haben
[1].
Ernst von Glasersfeld
Die
Modellbildung ist ein bedeutender Prozess, um die komplexe Realität zu erfassen und besser zu verstehen. Oftmals betrachten wir die Realität aus verschiedenen Blickwinkeln und nehmen sie dadurch unterschiedlich wahr. Indem wir Modelle erstellen (ähnlich wie Landkarten), können wir verschiedene Perspektiven auf dieselbe Szene der Wirklichkeit einnehmen. Dadurch kann beispielsweise eine Landschaft kartiert werden, um Autofahrern, Historikern, Wanderern, Soziologen, Geologen oder Städteplanern zu helfen. Jeder benötigt seine eigene Sichtweise und Karte der Realität, um sie nach seinen Vorstellungen gestalten oder nutzen zu können. Mit den verschiedenen Modellperspektiven können Entscheidungen für die reale Welt abgeleitet werden. Die Modellbildung ist daher nicht nur in der Wissenschaft relevant, sondern auch im Alltag von Bedeutung und hilfreich. Denn je besser man seine Umwelt versteht desto erfolgreicher kann man handeln und seine Ziele erreichen.
Im oberen Bild sind verschiedene Karten für unterschiedliche Nutzer dargestellt. Eine Wanderkarte hilft dabei, einen Weg zu finden, der auf ein bestimmtes Ziel mit entsprechender Bodenbeschaffenheit abgestimmt ist und bei großer Mittagshitze möglicherweise etwas Schatten bietet. Die in der Karte enthaltenen Höhenlinien geben eine Vorstellung von der Schwierigkeit des Geländes. Mit einer Vielzahl von skizzierten Merkmalen unterstützt die Karte den Wanderer dabei, einen Mehrwert zu erzielen. Auf diese Weise kann die Modellbildung vorteilhaft genutzt werden:
Die Erschaffung von Modellen ist nicht nur ein Prozess, sondern DER Prozess, um unsere komplexe Wirklichkeit für unseren Verstand zugänglich zu machen. Auf diese Weise schaffen wir eine Abbildung der Realität aus einem bestimmten Blickwinkel oder einer Perspektive heraus, um bestimmte Aspekte oder Zusammenhänge hervorzuheben und andere auszublenden. Dadurch betrachten wir die Realität wie durch verschiedene Brillengläser oder ein vielfarbiges Kaleidoskop. So sind wir in der Lage, verschiedenste Facetten der untersuchten Wirklichkeit wahrzunehmen.
Alle Erkenntnis ist subjektiv und kontextabhängig - gleichwohl ist (nahezu) objektive Schaffung von Wissen möglich [2].
Uwe Saint-Mont
Die nach-kantische Philosophie und Naturwissenschaft kann sich der Konsequenz immer weniger entziehen, dass die Hypothesen, die theoretischen Entwürfe der Naturwissenschaften nicht eine an-sich-seiende Wirklichkeit wiedergeben. Sie sind nur Modelle. [. . . ] Das Modell ist also etwas, mit dem wir anstelle einer nicht fassbaren Wirklichkeit operieren [3].
G. Frey
Um uns Zugang zur Modellbildung zu verschaffen, müssen wir zunächst verstehen, was ein Modell beinhaltet:
Die drei Merkmale - Kontext, Zweck und Nutzen - sind bei jedem Modell vorhanden, aber meistens implizit wie mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Das gilt nicht nur für Landkarten, sondern auch für viele wissenschaftliche Modelle. Das ist bedauerlich, da gerade der Sinn-, Problem- und Zweckbezug des Modells, sowie seines Entstehungsprozesses wertvolle Informationen bieten könnten.. Sobald ein Modell fertiggestellt ist enthält es noch wertvolle explizite Merkmale:
In Anbetracht dessen, was ein Modell alles beinhaltet, wundert es, dass diese Schätze nicht in einfacher Form zugänglich sind, sondern die "unsichtbare Tinte" erst mit Fleiss und einem Hauch Zitronensaft sichtbar gemacht werden muss. Aber die Entdeckung unserer Wirklichkeit ist mit ihren Wirklichkeitsbeschreibungen ein wunderbarer Zugang alle Facetten dieser Wirklichkeit zu ergründen.
Die Modellbildung nahm ihren Ursprung in der Logik der Philosophie und festigte sich dann durch Wiener's Kybernetik und die Systemtheorien von Bertalanffy, Parsons und Luhmann. Aus der Kybernetik kann man das einfache SOMA-Modell zur Modellbildung verwenden [6], [7]. SOMA steht für
Das, was man ein Modell nennt, ist hier in Beziehung gesetzt zu einem Modelloriginal, einem Modellsubjekt und einem Modelladressaten.
Um dein eigenes Modell zu erstellen, solltest du eine klare Vorstellung davon haben, was du modellieren möchtest und welches Ziel und Zweck du damit verfolgst. Dazu solltest zuerst herausfinden:
Als Beispiel wollen wir zur Modellbildung wieder die Erstellung einer Landkarte bemühen [4]:
Modelloriginal ist die Landschaft. Modellsubjekt ist der Hersteller der Karte, der Kartograph. Er ist in der Lage, aus Daten, die er durch Beobachtungen und Messungen gewonnen hat (Verhaltensrelation), die Karte zu erstellen. Was und wieviel er im einzelnen einträgt und wie er es darstellt, wird von ihm verfügt (Verfügungsrelation) und hängt vom speziellen Zweck der Karte ab. Eine Wanderkarte der Landschaft soll dem Wanderer als Adressaten helfen, sich in der Landschaft zurechtzufinden, schon ehe er die Wanderwege aus eigener Erfahrung kennt. Damit ist der vom Kartographen beabsichtigte Zweck der Karte erfüllt (Zweckrelation). Einen etwas anderen Zweck hätte eine Radkarte für einen anderen Adressaten, den Radfahrer: Dieser möchte der Karte für seinen Trail die Wegbeschaffenheit entnehmen und nicht in erster Linie Steigungen oder umliegende Rasthäuser. Die Analogierelation beschreibt die Ähnlichkeit der Karte mit der Landschaft. Sie kann struktureller Art (Wie?) bzw. qualitativer Art (Was?) sein. Die Abbildung ist nie vollständig, es liegt immer eine – durchaus beabsichtigte – Verkürzung, Vereinfachung vor.
So kannst du stets entscheiden in welchen Graden du das Modell strukturell bzw. qualitativ der Realität angleichst. Damit kannst du das Modellbild anreichern mit einem festgelegte Maßstab, welcher eine hohe strukturelle Angleichung garantiert. Zeichnest du Höhenlinien durch Striche ein, erzeugst du eine höhere qualitative Angleichung der Wirklichkeit im Modell als wenn du nur Farbcodierungen verwendest.
Bedenke also, dass verschiedene Blickwinkel unterschiedliche Modelle hervorbringen können - daher sollten alternative Perspektiven in Betracht gezogen werden. So kannst du ein und dasselbe Modell mit mehreren Perspektiven anreichern (z.B. mit Höhenlinien) und so mehrere Zwecke gleichzeitig zur Wirklichkeitserfahrung ermöglichen. Mit etwas Übung kannst du deine Fähigkeiten in der Wirklichkeitsmodellierung verbessern und ein tieferes Verständnis für die Welt gewinnen.
Erstelle gerne selbst Modelle der Wirklichkeit und vergleiche sie mit Experten in diesem Bereich. Such den Dialog mit anderen Modellbauern und frage sie um Rat. Insgesamt zeigt sich, dass Modellbildung ein wichtiger Prozess ist, der uns helfen kann die Welt besser zu verstehen und Entscheidungen zu treffen. Wer gelernt hat validierte Modelle der Wirklichkeit zu schaffen, kann sich als Gestalter seines Lebens bezeichnen.
Mit Modellen die Welt besser verstehen - das ist Wirklichkeitskonstruktion. Denn mithilfe von Modellbildung können wir komplexe Zusammenhänge und Situationen verständlicher machen und somit besser begreifen. Doch auch die unterschiedlichen Blickwinkel auf ein Thema oder einen Sachverhalt können zu unterschiedlichen Modellen führen - hier gilt es herauszufinden, welches Modell am besten geeignet ist, um eine bestimmte Fragestellung zu beantworten. Dieser Blog soll den Raum öffnen Erfahrungen und Modelle zu teilen, die die Fähigkeiten zur Wirklichkeitsmodellierung schärfen. So manche Fragen werden unbeantwortet bleiben, einige ein zarter Versuch einer Antwort. So oder so, sollte es dir aber helfen ein klares Bild zu erhalten über Dich und die Wirklichkeit, die die umgibt und wie du dich in ihr zurechtfinden kannst. Jeder weitere Artikel sollte dir kaleidoskopischen Perspektiven eröffnen um eigene Wirklichkeitserfahrungen zu machen.
Herzlichst,
Matthias
Quellen